Deutschlandradio Kultur
2.1.2014
E-BOOK
Frank
Dukowski: "Vor dem Pilzgericht"
Von Marten Hahn
Pilze
aus freier Wildbahn (dpa)
Lass uns in die Pilze gehen. Das sagt man so. Bis man dieses Buch
gelesen hat. Danach hat man Angst vor Pilzen, überhaupt vor der Natur. Frank
Dukowski lässt den Wald als den unheimlichen Ort wiederauferstehen, der er für
die Menschen seit jeher war, als einen "Ort des Übernatürlichen, des
Unmenschlichen".
Das ist die Geschichte: Der kleine Thomas zieht in "Vor dem
Pilzgericht" mit seinem reichlich dysfunktionalen Elternhaus in den Wald,
fernab der Zivilisation. Nach ersten zögerlichen Streifzügen fällt Thomas einer
selbst erdachten Naturreligion anheim. Er begegnet der wilden Myriam, die ihn
einführt in die Geheimnisse des Waldes und vor allem in die Geheimnisse der
Pilze. Myriam, die nirgendwo zu wohnen scheint, außer in Thomas Kopf. Myriam,
das Antidot zur Realität. Myriam, die vielleicht nicht ganz unschuldig daran
ist, dass der erwachsene Thomas später beschuldigt wird, zwei Mädchen getötet
zu haben.
Einzigartige Pilz-Novelle
Frank Dukowski lebt als Schauspieler in Berlin und schreibt
Theaterstücke, Geschichten und Lyrik. "Vor dem Pilzgericht" ist sein
erster längerer Prosatext. Gedruckt wäre "Vor dem Pilzgericht"
allerdings nur ein Büchlein. Und das ist die Geschichte hinter dem Buch:
Dukowskis einzigartige Pilz-Novelle ist als E-Book erschienen. Sie existiert
also 'nur' als Datensatz, herausgebracht vom noch jungen Berliner E-Book-Verlag
Das Beben.
Die Verlagsgründer – eine Gruppe von Buchhändlern, Übersetzern,
Autoren und Schreiblehrern – taten sich 2012 zusammen, weil sie unzufrieden
waren mit dem Angebot der großen Verlage. Zu selten fanden sie dort
Außenseiterbücher und kurze Texte. Das Beben hat es sich deswegen zur Aufgabe
gemacht, die Novelle wieder aufleben zu lassen. Eine kurze Form, die große
Verlage auf Papier kaum wirtschaftlich produzieren können, die beim Publikum
aber sehr beliebt ist – wie geschaffen also, als E-Book verlegt und vertrieben
zu werden. Die kurze Form und das E-Book: Nur einige wenige der Großen, wie
Amazon und Suhrkamp, haben das erkannt und führen Kurzgeschichten und kurze
Sachtexte als digitale Lektüre im Programm.
Doppelbödig, fesselnd, schaurig
Im US-Magazin "The New Yorker" pries der
britische Autor Ian McEwan in einem Essay einmal "die ökonomischen
Erfordernisse" die den Novellenautor dazu zwingen, seine "Sätze
hinsichtlich Präzision und Klarheit aufzupolieren". "Sie schwafeln
und predigen nicht, sie verschonen uns mit verfünffachten Nebenhandlungen und
aufgeblasenen Mittelteilen." McEwan glaubt, dass die Novelle die perfekte
Form der Prosa verkörpere. Für ihn ist sie "die schöne Tochter eines
umherstreunenden, aufgeblähten, unrasierten Riesen (wenn auch eines Riesen, der
zu seinen besten Zeiten ein Genie ist)".
Dukowskis Pilz-Novelle
illustriert all das sehr schön. Und dazu ist dieser Text wunderbar dunkel und
doppelbödig, fesselnd, schaurig und radikal anders. Man klickt das Buch zuletzt
mit dem Gefühl beiseite, selbst in einen Fliegenpilz gebissen zuhaben. Was als
Erweckungserlebnis für den kleinen Thomas beginnt, wird zur Wahnvorstellung –
auch für den Leser. Ein kleines Buch mit großer, halluzinogener Wirkung.
Unbedingt lesen!
Frank Dukowski: Vor dem
Pilzgericht
Das Beben, Berlin,
2013
Nur als E-Book, 3,49 Euro